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Das Frühlingsfest an der Leyher Waldspitze 1914

von Günter Scheuerer

Der Begriff „Leyher Waldspitze“ stand bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts für den Rest eines alten Waldstücks zwischen der Fürther Südstadt und dem heutigen Nürnberger Stadtteil Leyh. Seit 1881 firmierte unter diesem Namen auch eine Schankwirtschaft. Diese befand sich an der Höfener Straße, ungefähr dort, wo heute die Fronmüllerstraße abzweigt. Der Betrieb mit seinem großen, baumbestandenen Biergarten entwickelte sich schon vor 1900 zu einem beliebten Ausflugsziel der Fürther und Nürnberger Bevölkerung. Bereits 1901 wird von einem großen Volksfest mit allen Schikanen berichtet. Eine große, neben dem Biergarten gelegene, Freifläche, die als „30 Tagwerk groß“ beschrieben wurde (was sicherlich übertrieben war), bot sich dafür an. Und so kam es, dass 1914 der damalige Pächter der Wirtschaft, Johann Müller, und ein bis dato unbekannter „Volksfest-Unternehmer“ namens Michael Herbert beim Fürther Stadtmagistrat um Erlaubnis für die Abhaltung eines Frühlingsfestes auf der „Leyherheide“ ersuchten. Die Ratsherren waren über den Antrag nicht besonders erfreut, und verweigerten mehrfach mit teils kuriosen Begründungen die Genehmigung der Veranstaltung. So wollte man z. B. die Bevölkerung vor „unnützem Geldausgeben“ schützen. In Wahrheit wollte man wohl eher die hiesigen, unbeteiligten Schausteller vor Einnahmeverlusten bewahren. Herbert und Müller ließen jedoch nicht locker und konterten, dass wenn jemand so viel Geld besäße, um es „unnütz“ ausgeben zu können, dies auch woanders tun könne. Weiterhin verwies man auf andere Feste wie die Michaeliskirchweih und das Volksfest am Prater, welche auch noch nie jemanden in Armut gestürzt hätten und darauf, dass der „Obere Stadtteil“, wie man die Südstadt damals wohl auch nannte, unter einem generellen Mangel an Festivitäten leide.

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Schließlich wurde das Fest nach einigem Hin– und Her für die Dauer vom 17. – 24. Mai genehmigt und in der Folgezeit von den Veranstaltern kräftig beworben. Aufgeboten wurden u. a. mehrere Karusselle wie Kettenflieger und Krinoline, eine Schießhalle, Kasperltheater, Schiffschaukel, Tischkegeln, mehrere Heringsbrater sowie die obligatorischen Fressstände und ein großes Bierzelt. Eine erhaltene Skizze zeigt die Anordnung der Buden mit einem großen freien Platz zum Flanieren in der Mitte.

Die Durchführung des Festes selbst scheint jedenfalls ein großer Erfolg gewesen zu sein – bis zum 23. Mai. An jenem verhängnisvollen schwülheißen Samstag drängten sich nach Angaben eines erhaltenen Polizeiberichts zehn- bis fünfzehntausend Personen auf dem Gelände, als gegen 19 Uhr ein schweres Gewitter aufzog. Ein Polizeisekretär (was heute ungefähr einem Kommissar im Verwaltungsdienst entspricht) namens Scheuerbrandt wurde zufällig Augenzeuge des Geschehens: „[…] als sich das Unwetter abzeichnete, suchte eine große Menschenmenge im Festzelt Schutz. Dieses war aber dem Sturm nicht gewachsen und Teile des Daches brachen ein. Das Publikum stob panikartig auseinander, Esswaren und Bier blieben unbewacht und für Jedermann erreichbar. Einige Schaubuden, Heringsbrater und Verkaufsstände waren durch den Sturm fast vollständig demoliert und es kam zu Diebstählen“. Scheuerbrandt führte weiterhin aus, dass er die Plünderung eines Zigarrenstandes nur „unter Androhung von Waffengewalt“ verhindern konnte. Weitere Ordnungs- und Rettungskräfte waren nicht anwesend.

Dies mutet in der Nachbetrachtung seltsam an, da bereits beim erwähnten Volksfest 1901 eine Polizei- und Rettungswache sowie eigene Toiletten vorgeschrieben waren, 1914 jedoch nicht! Dieser Umstand sowie eine im Nachhinein als mangelhaft bezeichnete Organisation des Festes leistete den chaotischen Szenen Vorschub bzw. machten diese erst möglich. Jedenfalls gab es zahlreiche Verletzte und mehrere bewusstlose Personen, die nicht adäquat versorgt werden konnten. Irgendwann gelang es Scheuerbrandt, dem einzigen anwesenden Ordnungshüter, einen Notruf abzusetzen und es rückte Militär in einer Stärke von 120 Mann an, welches „mehrere Stunden damit beschäftigt war, die Stände zu sichern und die allgemeine Ordnung wieder herzustellen“. Das Unwetter war der Nordbayerischen Zeitung am darauf folgenden Montag gleich mehrere Berichte wert. Dort hieß es z. B. unter dem Titel „Sturmgewalt“, dass am Samstagabend ein schwerer Sturm die Stadt heimsuchte und im gesamten Stadtgebiet schwere Verwüstungen verursachte. Zitat: „In der Stadt wurde es immer düsterer; denn ein dichter Nebel hatte sich auf ihr niedergelassen, der einen Türme, Dächer und Gebäude nicht mehr unterscheiden ließ. Unheimlich heulte und pfiff der Wind […] Am schlimmsten hauste er [Sturm] auf dem Platze des Frühlingsfestes an der Leyher Waldspitze […]“

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Vom gleichzeitig stattfindenden Sommerfest des Evora-Kellers an der Erlanger Straße sind derweil keine nennenswerten Schäden bekannt geworden. Das Frühlingsfest fand somit einen unguten Abschluss und das Ereignis wirkte noch Jahre nach.
Herbert, der ab 1916 nun selber als Pächter der Leyher Waldspitze fungierte, bemühte sich in der Folgezeit immer wieder um die Genehmigung zur Abhaltung eines entsprechenden Festes, jedoch ohne Erfolg. Selbst als er einen Strohmann vorschickte, um nicht mehr selbst als Unternehmer in Erscheinung zu treten, oder versuchte, das Volksfest als „Frühjahrsmesse“ zu tarnen und wohlwollende Empfehlungsschreiben beteiligter Geschäftsleute vorlegte, war ihm vom Stadtrat die Genehmigung verwehrt worden.

Exakt zehn Jahre später, 1924, geschah, womit keiner mehr gerechnet hatte: zwar erinnerte man sich im Rat immer noch an das Unglück und an Herbert, der seither als unzuverlässig galt, sprach aber dennoch die Erlaubnis zur neuerlichen Abhaltung eines Frühlingsfestes aus. Von den geplanten 34 Schaustellern sagten jedoch einige ab und die Veranstaltung war nur mäßig besucht, hatte einen „schlechten Geschäftsgang“ und wurde nicht mehr wiederholt. Im folgenden Jahr gab Herbert auch die Pacht der Wirtschaft auf.

Günter Scheuerer, FürthWiki
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