Vom Löschzwerg bis zum Kärwastift oder: wie die Unterfarrnbacher Kärwaburschen einen Kärwabaum aufstellen
Die ersten Sonnenstrahlen erhellen das Moos im Fürther Stadtwald. Ein Duft aus Kiefernharz, Zweitaktbenzin und belegten Broten liegt in der Luft. Im Hintergrund verrichtet der in die Tage gekommene Bulldog von Patrick brav seine Arbeit und tuckert vor sich hin. Doch nicht die fleißigen Waldarbeiter der Stadtförsterei sind am Werk – die waren am Vortag schon emsig am Arbeiten – vielmehr sind es die Kärwaburschn aus Unterfarrnbach. Nahe des XXX (aus Baumschälschutzgründen dürfen die Orte nicht genannt werden) wurde der Kärwabaum gefällt. Eine Fichte mit stattlichen 27 Metern Länge gilt es aus dem Gehölz zu holen und fachgerecht aufzustellen.
Der Tag beginnt schon früh
Zuvor trafen sich die Jungen und solche, die noch zu diesen gehören wollen, früh morgens um 09:00 Uhr in Unterfarrnbach nahe der Grundschule, um anschließend gemeinsam in den nahegelegenen Stadtwald zu reisen. So manchem Gesicht ist der gestrige Bierkonsum anzusehen. Umso anerkennenswerter ist es, dass diese „Gsichter“ nicht im Bett liegen, sondern ihren Beitrag leisten, die Flamme der Tradition in sich brennend. Spannend zu lauschen als Außenstehender, denn der Googleübersetzer stieße hier an seine Grenzen: Die „Aldn“ ordern beim „Kärwastift“ (=Neuling bei den Kärwaburschen) eine „Reparaturhalbe“. Diese soll das Gesicht wieder in Ordnung bringen.
Echte Handarbeit
Aus Laiensicht könnte man meinen, das Vorhaben ist zum Scheitern verurteilt. Jedoch ist das zu vorschnell geurteilt. Viele der Männer sind bereits viele Jahre dabei, man ist eine eingeschworene Gemeinschaft, die ein gemeinsames Ziel verfolgt: den Baum aufstellen, ohne dass er oder jemand dabei Schaden nimmt. Gewiss braucht es dort eine kompetente Fachkraft, in Form eines (Ur)Aldn. Seit 35 Jahren begleitet Roland diese Tradition. Worauf es ankäme wurde er von uns gefragt: „Dass alle auf mich hören.“ Eine Führungskraft, wie sie im Buche steht.
Auf sein knappes und eindeutiges Kommando hören in der Tat alle umgehend. Zuvor gibt es noch eine kleine Stärkung, anschließend geht es frohen Schrittes zur 900 kg schweren Frankenfichte.
„Auf drei! Eins, zwei und…“ Alle heben den Baum, Roland dirigiert die über 30 Männer in Richtung Anhänger. Ist der überdimensionierte Zahnstocher erst einmal aufgeladen, folgt nun der angenehmere Teil. Es liegen knapp vier Kilometer Fußmarsch zurück nach Unterfarrnbach vor ihnen.
Long way home…
Ebenso wie das Heraustragen des Baumes gehört es zur Kern… Verzeihung Kärwakompetenz der Kärwaburschen, den Baum in Begleitung der FFW Unterfarrnbach sicher nach Hause zu bringen. Dabei kommt es nicht selten zu Konflikten mit den Verkehrsteilnehmern. Laut Auskunft des Feuerwehrkommandanten Meyer kam es bei diesem Transport tatsächlich zu einer Nötigung im Straßenverkehr, die aus einer Nichtbefolgung einer verkehrsrechtlichen Anordnung entstand. Trauriger Alltag.
Alle Beteiligten sind immer froh, wenn es lediglich bei solchen kleinen Vorfällen bleibt. Das liegt unter anderem auch an verantwortungsbewussten jungen Männern wie Tobias und Pauli. Sie haben die Aufgabe, die Deichsel, auf dem der Baum liegt, im richtigen Moment zu lockern und in die gewollte Richtung zu lenken. Schließlich hat der Tross mit dem 27 Meter Baum eindeutig Überlänge. „Sie machen das gerne“, bezeugen sie, „Schließlich kann man sich hier in Ruhe unterhalten und hat eine wichtige Aufgabe.“
Zwar ist man hier nicht bei GNTM, doch ein Vergleich lohnt sich: erst wenn man unter den Massen an dünnen Dingern das Richtige für sich entdeckt und zu sich gebracht hat, geht es an die Feinheiten. Gewiss muss der Baum nicht selbst laufen, doch für den „Catwalk“ durch die Unterfarrnbacher Straße am frühen Abend ist ein gepflegtes Aussehen Pflicht. So stehen die Ortsmädels unter der eisernen Führung von Lena Geiger, Vorsitzende des Vereins, schon bereit. Parallel zum Schmücken wird der Baum hier und da noch zurechtgestutzt, um Symmetrie zu schaffen und der Stamm in Form gebracht, damit er später leicht in das vorbereitete Loch schlupft.
Durch die hohle Gasse muss er kommen …
…es führt kein andrer Weg zum Kärwaplatz. Das fleißige Schmücken und Vorbereiten fand am späten Nachmittag sein Ende. Inzwischen dämmert die Abendsonne, ein sanfter Rotton erhebt sich, als würde die Welt den rot-weißen Rechen in den Himmel malen. Die Verantwortlichen haben sich inzwischen herausgeputzt. Während die Männer mit Hemd und Lederhose ausziehen, werden sie von schmucken Damen im Dirndl begleitet. Sepp Schuh, seines Zeichens Kärwabursche, gibt letzte Instruktionen. Der gestrige Abend sei etwas stimmungslos gestartet. Er appelliert an die Männer und erinnert an ihre Aufgabe, mit zünftigen Liedern den Bretterboden zum Beben zu bringen. Zum Baum selbst wird nur wenig gesagt, das ist schließlich reine Routine.
Lila Wolken schmücken im Hintergrund den Kärwaplatz, als die Mannschaft geschlossen einmarschiert. Von der Grundschule kommend, beziehen die Kärwaburschen Position und stellen sich entsprechend zu den Schwalben und dem Baum. Roland, ganz gelassen wie schon im Wald, gibt das Kommando, den Baum vom Hänger des bunt dekorierten Traktors der Marke Allgeier zu heben. Der weitere Verlauf ist jedem bekannt, der schon einmal dabei gewesen war.
„Hau Ruck!“
Für die Unkundigen: Mit den so genannten „Schwalben“ – Stangen, die entweder mit Ketten oder Seilen verbunden sind – wird der Baum nach und nach hochgedrückt. Dabei achtet Roland auf den gleichmäßigen Schub durch die Kärwaburschen. Bisher gab es noch keinen Unfall. Motiviert werden die Mannsbilder von den Damen. Sie reichen den „Herren der Schöpfung“ Getränke, im Hintergrund spielt eine Musikkapelle. Wenn der Baum beinahe aufrecht steht, lupft er langsam in das für ihn vorgesehene Loch. Doch damit ist der Arbeit noch nicht genüge getan. Mit den Schwalben wird der Baum noch zurechtgerückt, damit er auch geradesteht. Anschließend erfolgt die Befestigung mit entsprechenden Pflöcken. Doch wer glaubt, es sei mit der Arbeit nun zu Ende, der irrt.
Nun beginnt die lange Nacht der Baumwache, in der darauf geachtet werden muss, dass kein Ortsfremder die Rinde des Baumes schält:
Eine Schande, die die Unterfarrnbacher bisher immer zu verhindern wussten. Wie es sich eben gehört für Menschen, die Tradition großschreiben. Bevor sich die gesamte Gesellschaft ins Bierzelt oder zur Baumwache verabschiedet, fallen noch die vier Hüte auf, die an den Baum genagelt wurden. „Diese,“ so Lena Geiger, „sind von den Kärwaburschen, die ihre aktive Zeit beenden, sprichwörtlich an den Nagel gehängt worden.“ Sie werden wohl nach der Baumwache ein letztes Mal gemeinsam mit dem Löschzwerg und den Kärwastiften eine „Reparaturhalbe“ zu sich nehmen, um dann frisch, fromm, fröhlich und frei den Sonntag beginnen zu lassen.
Die Kärwazeitung bedankt sich ganz herzlich bei den Unterfarrnbacher Kärwaburschen für die kollegiale Zusammenarbeit. Es war uns eine große Freude, eure Begeisterung zu spüren und eure Gastfreundschaft zu genießen.
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