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Kultur? Gut!

von Jürgen Krauß

Pfeifndurla Fürth

In den südlichen Regionen Deutschlands unterscheidet man im Allgemeinen drei Arten von Wetter: Sauwetter, Donnerwetter und Biergartenwetter. Kurioserweise können diese drei Wetter auch zur selben Zeit am selben Ort friedlich koexistieren: Biergartenwetter ist nämlich grundsätzlich von April bis Oktober, ganz egal ob gerade Sauwetter ist oder nicht – und der Eine oder Andere, der sich beim Biergartenbesuch zu sehr auf die erste Silbe konzentriert, kann sich beim verspäteten Nachhausekommen auf ein Donnerwetter gefasst machen. Je nach Region gerne auch mal auf ein sakrisches. Was aber ist es, das die Menschen – nicht nur südlich des Weißwurstäquators – wie die frommen Schäfchen zu ihrer Glaubensstätte pilgern lässt? Dort einzunehmen, das heilige Abendmahl aus Weißbier und Schmalzbrot?

 Ganz offensichtlich vereinen Biergärten zwei der Deutschen liebsten Kinder: Bier und Gärten. Zwar gibt es das Phänomen „Kleingarten“ in ganz ähnlicher Form auf der ganzen Welt, doch nimmt man das Gärtnern kaum irgendwo so ernst wie zwischen Oder und Rhein. Höchstens vielleicht in England; aber selbst auf der Insel belässt man es meist bei unnatürlich akribischer Rasenpflege. Und was das Bier angeht … darüber muss man nicht viel mehr sagen, als dass es allein Bayern mehr Brauereien gibt als in irgendeinem Land in Europa. Die fränkische 1.500-Seelen-Gemeinde Aufseß hält mit einer Brauerei pro 375 Einwohner gar den Guinness-Rekord für die höchste Brauereidichte der Welt!

Das sind gute Argumente für die deutsche Lieblingsfreiluftbeschäftigung – doch es erklärt nicht, warum der gemeine Germane die Bierzeltbank in 120 Prozent der Fälle ohne zu zögern dem meist deutlich bequemeren eigenen Gartenmöbel vorzieht.

 Natürlich hat jeder Biergarten, der etwas auf sich hält, kulinarisch mehr zu bieten als das beliebte „Sieben Bier sind auch ein Schnitzel“-Schnitzel. Auch wenn Zusatzstofflisten, Glutenallergiker und Modeveganer den cholesterinhaltigen Zauber des romatisch-verträumten Traditionsbiergartens kleine Dämpfer verpassen, reicht meist schon der Blick auf die Speisekarte, um ein paar Gramm zuzunehmen: Weißwürste und Schmalzbrot, Vesperplatte und Obatzer, Bratwürste und Kraut, Kalbshaxen und Schweineschäuferla. Wer „etwas Leichtes“ sucht, kann je nach Saison entweder auf eine Portion Rettich zurückgreifen oder sich – rechtmäßig nach der bayerischen Biergartenverordnung – mit Mitgebrachtem selbst versorgen. Aber ob die Menschen dafür in Scharen in die Biergärten pilgern?

 Vielleicht geht es hier auch einfach um Brauchtumspflege. Mein Opa ist schon in den Biergarten gegangen, mein Vater ebenso und nun gehe eben auch ich. Gut, die Lederhose oder den klassischen Sonntagszwirn habe ich vielleicht gegen das aerodynamisch optimierte Funktions-Leibchen mit Quick-Dry-Technology und die pinke, gepolsterte Reflektor-Radlerhose eingetauscht, aber der Brauch bleibt grundsätzlich derselbe: Am Sonntag, wenn das Wetter passt, geht es ab in den Biergarten. Dort sieht man zwar Schnupftabak und Schuhblattler (ebenso wie andere regional variierende Peinlichkeitsrituale) zum Glück immer seltener, das Schafkopfen aber zum Beispiel hält sich seit Jahrhunderten hartnäckig. Noch heute wird alpenlandauf, alpenlandab fleißig geklopft, gesauspielt und geheiratet – und es werden Phrasen gedroschen, dass einem die Ohren bluten. Ich kann nicht sagen, wie oft ich schon „Mit der Alten bist du gut gehalten“, „Schneider sind auch Leute“ oder „Mit einem Unter geht man nie unter“ gehört habe – aber es war sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr oft. 
Zu einer guten Schafkopfrunde gehören vier Personen. Wesentlicher Bestandteil des Brauchtums sind aber zusätzlich zu den Spielern mindestens ebenso viele Pinkelpausenvertretungskartenhalter (auch „Brunzkartler“ genannt) und eine größere Schar an Zuschauern. So kann eine Kartelrunde schon mal bis zu 25 Mann – laufende Bauern nicht mitgerechnet – über mehrere Stunden hinweg beschäftigen. 
Aber auch das kann kaum der ausschlaggebende Grund sein, warum sich Biergärten hierzulande derartiger Beliebtheit erfreuen.

 Der größte Publikumsmagnet in einem Biergarten ist wahrscheinlich einfach die dort vorherrschende Geselligkeit: Wo Menschen verschiedenster Herkunft friedlich Seite an Seite sitzen. Wo Kinder soziale, kulturelle und sprachliche Barrieren beim Fangenspielen an der frischen Luft in ebensolche auflösen. Wo der Muslim mit dem katholischen Gemeindepfarrer die Vor- und Nachteile der vierzigtätigen Fastenzeit gegenüber den strengen Speisevorschriften des Halāl diskutiert. Wo die studentische Aushilfsbedienung aus Nordrheinwestfalen erst noch lernen muss, dass der Franke mit dem stoffelig dahingeschnodderten „Hadd scho bassd“ dem Koch eben das größtmögliche Lob ausgesprochen hat. Wo die Stammgäste der amerikanischen Reisegruppe mit Händen und Füßen zu erklären versuchen, was der LKW mit ABS auf der Karte verloren hat. Wo die Frau des Diplom-Ingenieurs mit den zwei Doktor-Titeln nach den E-Inhaltsstoffen der Weißwürste fragt, ihre Tochter sich über die Putenstreifen im vegetarischen Salat wundert und der Gatte gerne ein fair getradetes Weißbier möchte. Wo Ortsansässige sich zwar in Gastfreundlichkeit üben, man ihnen das aber nicht immer gleich anmerkt. Wo das „Wir“ und das „Die“ immer eine Rolle spielen wird, man die Unterschiede aber am Ende des Tages in bierseliger Einigkeit einfach hinunterspült – überall dort sind Biergärten mehr als einfach nur Kulturgut: Sie sind Interkulturgut.

Jürgen Krauß

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